Heli Reißenweber von STAHLZEIT im Interview auf dem NOAF

Über eigene Texte, die auch das Leben schreibt und Schädlinge beim Finanzamt

Ich bin für`s Rockhousemagazine auf dem NOAF (Neuborn-Open-Air-Festival) unterwegs und heute, Donnerstag Abend, ist STAHLZEIT der Opening-Act. Es ist warm und das Infield füllt sich, denn um 19:30 Uhr soll es losgehen mit der Show. Für´s Erste ignoriere ich die wirklich dunklen, schweren Wolken, die da auf`s Festivalgelände zusteuern, denn ich mache mich auf die Suche nach Heli Reißenweber, dem Sänger von STAHLZEIT, mit dem ich gleich ein Interview machen darf. Da bricht ein ordentliches Gewitter los, die Schleusen öffnen sich und zwei Minuten später bin ich komplett durchnässt. Und so vor mich hin tropfend, treffe ich einen sehr entspannten Heli, der mir nach dem „Hallo“ erstmal etwas zu Trinken anbietet.

Rockhousemagazine: Hallo Heli, schön, dass du Zeit für uns hast! Ihr seid in diesem Jahr das erste Mal auf dem NOAF mit dabei…

Heli Reißenweber: Ja, wir sind gespannt auf heute Abend!

RM: Mit welchem Bühnenequipment reist ihr denn an?

HR: Den Bühnenaufbau bringen wir selbst mit, also wo das Schlagzeug drauf steht, Bass und Keyboard, für die Showeffekte, das ist alles unseres.

RM: Und nicht zu vergessen die Pyro! Wie groß ist denn aktuell euer Team?

HR: (überlegt)… Also heute, hier, sind es insgesamt mit Fahrer so an die sechzehn.

RM: Wie lange dauern ungefähr die Vorbereitungen für eine Show?

HR: Die Pyro hat natürlich das Meiste zu tun, die arbeiten die ganze Woche und dann kommt noch die ganze Bürokratie dazu. Man muss alles anmelden, das Amt muss es wissen – das sind alles Geschichten, da kann ich garnicht genau sagen, wie lange die brauchen, um eine schriftliche Anmeldung zu machen.

RM: Ich glaube, das sind alles so Sachen, die gerne mal vergessen werden – wie viel Bürokratie an so einer Pyroshow hängt.

HR: Ja, absolut, die Leute wissen garnicht, was da alles abläuft. Da kommt ja tatsächlich jedesmal vor der Show das Ordnungsamt, die Feuerwehr, die schauen sich alles genau an und nehmen das ab. Oder auch nicht.

RM: Kam das schon öfter vor?

HR: Ja, klar, wir haben schon Sachen erlebt, das verschiedene Effekte, die ihnen nicht ganz geheuer waren, verboten wurden.

RM: Waren das welche, die ihr vielleicht bei einem anderen Konzert trotzdem machen durftet?

HR: Ja, das sind Sachen, die sind immer in der Anmeldung mit drin, aber sowas wie Raketen, die über die Köpfe der Leute fliegen, sowas mögen die oft garnicht. Obwohl es sicher ist, die werden an Seilen geführt und es ist alles abgesichert.

RM: Ist auch immer eins der vielen Highlights! Ein Teil der Mitglieder von STAHLZEIT gehört auch zu der Band MAERZFELD – was war denn zuerst da?

HR: STAHLZEIT.

RM: Wie hat sich MAERZFELD daraus entwickelt? Habt ihr gemerkt, dass ihr mehr wollt, eigenes erschaffen wollt?

HR: Es liegt ja in der Natur des Musikers, du möchtest schon dein eigenes Ding machen. Ich persönlich komme ja aus der eigenen Musik. Also erst eigene Musik, dann fängst du an zu covern, weil du Kohle brauchst. Da haben wir dann irgendwelche Top 40s und Classic-Rock-Geschichten gemacht. Und daraus entstand dann STAHLZEIT. Es hat dann eine Zeit lang gedauert, bis sich MAERZFELD entwickelt hat, denn man hat darüber gesprochen, aber es wollten nicht alle das Gleiche, und, und, und. Die STAHLZEIT-Besetzung hat sich dann ja auch geändert, zwischendurch und so hat es eine Weile gedauert.

RM: Wer schreibt die Texte bei MAERZFELD?

HR: Die mache ich. Zum Großteil.

RM: Es gab ja die Möglichkeit, uns Fragen an dich über unsere Instagram-Story zu senden. @crowleyanderson hat gefragt, wie lange du in der Regel brauchst, um einen Text zu schreiben.

HR: Das kommt drauf an, es gibt einen Text, den hab ich aus Ärger über´s Finanzamt geschrieben. Da gab´s eine Steuerprüfung und der Typ hätte mich fast in die Insolvenz getrieben. Und diesen Song hab ich tatsächlich in zehn Minuten geschrieben. Der besteht eigentlich fast nur aus Schimpfwörtern. Der nennt sich „Schädling“. Er handelt nicht vom Finanzbeamten an sich, sondern eigentlich von einem Schädling, den du so in der Küche hast, eine Kakerlake, oder so.

Und dann gibt es Texte, die von Krankheiten handeln, da lasse ich mir sehr lange Zeit. Vor allem Krankheiten, die ich selber nicht habe. Beispiel: Ein Song von uns, „Schwarzer Schnee“ handelt von Depressionen. Da unterhalte ich mich sehr viel mit Menschen, die betroffen sind und lasse den Text von ihnen gegenlesen, ob das in Ordnung ist. Also ob es das so trifft oder ob das Schwachsinn ist.

RM: Also ich kenne den Song und mich hat er direkt berührt.

HR: So soll das auch sein. Es dauert in dem Fall eben seine Zeit, um Dinge zu umschreiben, ohne auch jemandem weh zu tun oder direkt anzugreifen. Und das ist ganz wichtig bei solchen Sachen, gerade, wenn es um Krankheiten geht. Das ist mir ganz, ganz wichtig! Es gibt ja auch Songs von uns mit traurigem Inhalt aber positiver Musik. Weil noch weiter runterziehen möchte ich nicht. Und es ist auch wichtig, wenn es einem schon schlecht geht, doch die positiven Seiten manchmal zu sehen. Irgendwo etwas Gutes zu sehen, es geht wieder aufwärts. Es gibt einen Song von uns, der nennt sich „Virus“. Er handelt vom HI-Virus, weil ein sehr guter Freund von mir, der homosexuell… war, muss ich leider sagen, er ist mittlerweile verstorben, hat mir immer von seinen sexuellen Eskapaden erzählt. Dann hab ich diesen Song geschrieben und dachte, den kann ich ihm irgendwann mal vorstellen, aber das hat er nicht mehr geschafft.

Der Text ist aus der Sicht des Virus geschrieben, wie er in den Körper hineingeht, um mit dem Körper zu leben und zu sterben. Und aufgrund dieser Tatsache, dass mein Freund aus der Tür ging und kurz darauf verstorben ist, hab ich den Song „Letzter Sommer“ geschrieben. Denn er wusste es und ich habe versucht, mir vorzustellen, wie es ist, wenn man weiß, das ist der letzte Sommer. Wie erlebt man dann alles? Wie erlebt man die Sonne, wie erlebt man das Gras. So entstehen dann Texte und da dauert es dann auch schon etwas länger, das mache ich nicht von heute auf morgen.

RM: Danke für diesen Einblick! Um aber auch nochmal auf STAHLZEIT zurück zu kommen – gibt es denn in irgendeiner Art Kontakt zu RAMMSTEIN? Müssen die sowas wie ihr OK geben oder gibt es Richtlinien?

(Es donnert lang und laut)

HR: Der Donner war jetz RAMMSTEIN (lacht). Tatsächlich könnten sie uns komplett verbieten, denn sie haben alle Rechte. Auch, was live zu spielen ist, oder nicht. Mit dem Management sind wir in Kontakt und wir müssen uns an bestimmte Regeln halten. Es gibt Songs, die wir live nicht spielen sollen, da die bei der GEMA sind, die RAMMSTEIN selber gecovert hat. „Stripped“ ist z.B. so ein Song. Wie man wirbt, für STAHLZEIT, da gibt es ganz klare Regeln, „RAMMSTEIN“ darf nie groß irgendwo stehen, in Verbindung mit uns. Man sieht es an unserem Bus, „STAHLZEIT“ ist sehr groß und „RAMMSTEIN“ nur ein Drittel im Text darunter. Das ist auch ok so. Das sind so die kleinen Regeln, die auch bei uns im Vertrag stehen und die Veranstalter müssen sich auch danach richten.

RM: Gibt es einen Song, den du besonders gerne performst? Weil du vielleicht sagst, die Pyro ist da toll oder weil du drauf stehst mit dem Flammenwerfer herum zu hantieren?

HR: Das sind meistens die Songs so zum Schluss und in den Zugaben, weil da weiß man, dass da alles funktioniert. Wenn dann bis dahin schon alles gut gelaufen ist. Es kommt immer mal vor, das was schief läuft, das liegt aber nicht unbedingt an den Pyro-Leuten, sondern es gibt auch mal Produktionsfehler. Und dann bin ich froh, wenn bis dahin alles geklappt hat. Die Leute sind dann in der Höchststimmung und das ist dann schon sensationell.

RM: @jan.krnbch wollte wissen, wie sehr es dich stört, dass in manchen Berichten über Till Lindemann Bilder von dir benutzt werden.

HR: Das kommt zur Zeit regelmäßig vor. Das ist tatsächlich ständig der Fall, selbst der ORF hat über RAMMSTEIN berichtet und wir waren im Hintergrund auf einem Screen zu sehen. Jetzt kürzlich auch erst wieder, das ist im Moment eigentlich jede Woche mal. Ich ärgere mich nur über die schlechte Recherche. Wie schlecht eigentlich die Journalisten sind. Machen einen auf großen Larry, gerade mit Lindemann im Moment und sind aber unfähig zu sehen, wer da wirklich abgebildet ist. Und wenn man Lindemann kennt, kann man uns nicht verwechseln. Und das finde ich eigentlich das Traurige an der Geschichte.

RM: @jan.krnbch wollte noch wissen, ob es Orte oder Städte gibt, in denen ihr besonders gerne spielt.

HR: Ja. Also mit STAHLZEIT gab es ein paar Städte vor denen ich früher Angst hatte. Und das ist Berlin. Als es damals hieß „ihr spielt mit STAHLZEIT in Berlin“, dachte ich „ach du Scheiße!“. Ins Wohnzimmer von RAMMSTEIN. Und da hab ich mich tatsächlich gefragt, „Alter, geht das gut?!“. Und es war sensationell! Das ist es nach wie vor. Damals war es noch nicht ausverkauft, mittlerweile verkaufen wir die Columbiahalle aus und suchen nach einer größeren Halle, die für uns passend ist. Ich müsste in Berlin eigentlich keinen einzigen Ton singen. Weil das Publikum das macht, es ist unglaublich. Es ist aber generell auch der Osten, Sachsen, unglaublich! Es ist teilweise so verrückt, wie die Leute abgehen, da muss ich schon manchmal schlucken.

RM: Hast du noch ein paar Worte an deine Fans heute Abend hier auf dem NOAF?

HR: Ist ja unser erstes Mal hier! Ein paar Leute kenne ich, die haben geschrieben, dass sie kommen, aber für uns ist es natürlich Neuland und ich bin sehr, sehr gespannt, trotz des schlechten Wetters, wie wir empfangen werden. Ich weiß nicht, wie viele Leute da sein werden, heute.

RM: Es ist voll!

HR: Ach, du hast das schon gesehen? Ja schön! Auf jeden Fall wünsche ich mir ein friedliches Fest, das ist mir immer sehr wichtig, was wir auch sonst zu 95% haben. Friedlich soll`s sein, gute Stimmung und dann sind wir und das Publikum glücklich und dann ist alles schön!

RM: Ich freue mich jetzt auch auf euch. Vielen Dank, Heli, für deine offenen Worte und deine Zeit!

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